Ein fieser Abend im November, irgendwo in einer Kneipe einer Stadt. Die Musik zu laut, der Frust zu groß, aber es muss ja, das Leben, Alkohol in rauhen Mengen und lauter Gestalten am Tresen und an dunklen Tischen. An der Bar hocken Paul (35) und Marie (31). Beide Singles und beide gebeutelt weil irgendwie alles Scheisse war. Zumindest heute. Irgendwer wird hinterher sagen, sie hatten ordentlich Wodka Tonic und haben geraucht wie die Schlote. Es wurde später und nächtlicher, frecher und irgendwie intimer. Paul fand irgendwie, Maria sei süss und Maria fand, sie sei kein Kind mehr. Aber irgendwie hat sie das geschmeichelt, was Paul so sagte. Man kommt sich näher, eine Wellenlänge lies sich leicht finden: eben alles Scheisse. Amor schien an diesem Abend nüchtern gewesen zu sein und schoss seine brünstigen Pfeile auf beide ab, Hände berührten sich zufällig und irgendwann nicht mehr zufällig, die Lippen wurden aufeinander geführt, mancher sprach hinterher von feuchten, fröhlichen und leckeren Küssen. Wollen wir, fragte eine erregte Maria einen nicht minder erregten Paul, wollen wir? Ja was? Uns frisch machen gehen, dahinten, aufm Klo hauchte sie ihm ins Ohr und setzte einen zärtlichen Kuss dazu. Paul verstand nicht, war aber mit ihr bereits auf dem Weg. Mitten drin blieb er ruckartig stehen? Was ist, wollte Maria wissen, ob er keinen mehr hoch und so, aber da war Paul schon fast nüchtern. Der Vertrag, stammelte er, wir dürfen doch nicht, scheissegal ob wir es beide wollen, wir müssen doch den Lappen unterschreiben. Maria war jetzt auch fast nüchtern, sie verstand nichts mehr. Ihr Männer seid doch alle gleich, wütete sie. Aber irgendwie war es dann doch wieder so süss, dass dieser Loser dem Gesetz so treu und so. Also noch zwei Wodka an den Start bringen und den Wirt fragen, ob er nicht einen Stift, einen Zettel und so. Aber der Wirt braucht keine Stifte und Zettel, er merkt sich alle Bestellungen und im Übrigen habe er heute sowieso keine Tinte auf dem Füller. Also sollte es zu Paul gehen, in dessen grindige Bude, der Wirt war ja nicht zum Aushalten. Dort angekommen brauchte es weitere Schnäpse, um das Chaos ausblenden zu können. Jetzt sollte es ernst werden, man war schon wieder beim Schmusen, angeblich war sein Shirt sogar schon ausgezogen. Es fanden sich Stift und Papier für den Vertrag, den Paul schnell aufs Papier kritzelte. Maria konnte das alles nicht lesen und wollte es also nicht unterschreiben. Der anschliessende Streit rief zwar nach Versöhnungssex, der aber war amtlich verboten und so schliefen beide auf dem Sofa ein. Die Nachwelt berichtet, sie hätten Glück gehabt, es lag immerhin ein alter Pizzakarton zwischen ihnen, so daß nichts heimliches so ganz aus Versehen hätte passieren können. Der Kater des nächsten Tages schien heftig zu sein, aber nicht so heftig wie der neue Frust: Jetzt durfte man also auch nichtmal mehr vögeln, das Leben war doch noch schlimmer geworden…
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Mir ist schlecht. Ich bin wütend und genervt. Wobei ich eigentlich die ganze Zeit lachen muss. Aber jetzt reicht es sogar mir. Ich beziehe mich auf das neue Rekord-Hoch der #MeToo Debatte, nachdem erste Ideen laut werden, dass Sex zukünftig gesetzlich geregelt wird und nur noch mit Vertrag, am Besten schriftlich, erlaubt sein soll, ansonsten wandert man schlicht für vier Jahre (!) den Bau. (Link zum Artikel unten). Selbst wenn beide wollen droht der Knast, wenn du nicht vorher unterschrieben hast. Sogar wenn es eine liebende Ehe ist – Knast.
Und da mache ich mir so meine Gedanken. Und frage jetzt nicht nur mich, sondern auch dich:
Was ist mit Maria und Paul aus der Geschichte? Selbst wenn sie den Vertrag unterschrieben hätten. Wie rechtsgültig ist ein Vertrag, wenn er unter nicht unerheblichem Alkoholeinfluss entstanden ist? Wie leicht könnte man diesen Vertrag wohl vor Gericht für ungültig erklären lassen? Geschäftsfähig ist man ja eher nicht mit viel Wodka im Blut.
Denk mal weiter, sobald der erste Präzedenzfall da ist und der Vertrag für ungültig erklärt wurde, werden wir erheblich weniger Nachkommen haben. Viele Kinder entstehen unter Alkoholeinfluss!
Apropos Kinder: Wenn diese auf die Welt kommen, wird wohl irgendwer dafür Sex gehabt haben. Was ist, wenn der nicht rechtlich sauber abgelaufen ist? Gehören dann die Kinder automatisch dem Staat, weil sie eigentlich rechtsungültige Kinder sind? Und der Staat steckt sie dann in Erziehungslager? Geile Kindheit – der Alte im Knast und die Mutter frustriert.
Bleiben wir kurz bei der ersten Stufe: Der mündliche Vertrag. Was ist, wenn es keine Zeugen gibt, die neutral sind? Was wenn es hinterher plötzlich heisst, da gab es keinen Vertrag?
Immerhin fällt mir hier ein echter Nutzen für Amazons Alexa ein. Böse Zungen behaupten ja, Alexa könne angeblich auch Sprachnachrichten zu Amazon übertragen. Wäre doch tatsächlich genial: Alexa nimmt einen Vertrag auf für euch und sendet den an die Amazon Server. Dort kann ihn dann das Gericht, und nur das Gericht, abrufen und prüfen. „Alexa, wir wollen Sex haben!“ und schon ist rechtlich alles im Rahmen! Geil!
Auch der schriftliche Vertrag, der ja zunehmend gefordert wird, hat so seine Tücken. Nachdem früher mal Lockenwickler oder lange Unterhosen als die Liebestöter Nummer 1 galten, wird es nun eher der Vertrag. Überleg mal, Vertragsrecht ist ein extrem spannendes Rechtsgebiet. Da braucht es viel Ausbildung und Erfahrung. Da muss ja u.a. erstmal definiert werden, was mit Sex überhaupt gemeint ist, wer die teilnehmenden Parteien sind, also wieviele und wer, wie diese sich ausgewiesen haben, wo die Nummer stattfinden soll, Dauer, Häufigkeit und nicht zu vergessen, welche Art von Sex, französisch, arabisch, oder wie, alles zum Ankreuzen, Zustimmung zu Mehrfachauswahl. Wichtig ist ja auch, bis wann der Vertrag eingelöst werden muss, oder ob es auch ein Abo-Modell für Ehepaare geben darf. Da kannst dann ein Abo im Digistore24 oder einem anderen Online-Shop deiner Wahl anbieten, oder gleich als App, wenn es mal schnell gehen muss. Ich vermute ja, eine salvatorische Klausel (Link zu Wikipedia) wird es in einem Vertrag dieser Art nicht geben.
Überleg mal, so ein Vertragswerk ist dann locker 20 Seiten lang. Die beide Parteien Satz für Satz gemeinsam durcharbeiten müssen. Und dann bestätigen beide, alles gelesen und verstanden haben und es zu wollen, per rechtsgültiger Unterschrift.
Ist das romantisch? Stell dir mal vor, welche gewaltigen Mengen an gutem Essen und herrlichstem Wein du kredenzen musst, damit hinterher noch genug Romantik im Raum hängt! Vermutlich sind aber beide zu betrunken wenn dann der Vertrag gezeichnet ist, um noch in Wallungen zu kommen….
Was ich mich als Single frage ist, ob es auch eines solchen Vertrages braucht, wenn ich Sex mit mir selbst haben will. Ich kann mich mit mir selbst betrügen, mich hassen, mich lieben und so weiter. Also was ist jetzt wenn ich bei mir Hand anlegen will und keinen Vertrag zur (anderen) Hand habe? Wandere ich dann auch für vier Jahre in den Bau?
Es gibt ja Bücher die mir vorschlagen, dass es gut wäre, wenn beide Parteien sich wohl fühlen beim sexuellen Aktivitäten. Ich kenne mich aber, ich bin ein alter Zweifler. Was, wenn wir etwas falsch gemacht haben beim Vertrag? Ich will einfach nicht in den Bau, kann mir tatsächlich Schöneres vorstellen.
Also wird es einfach Notare geben müssen, die den Vertrag mit allen Beteiligten Parteien durchgehen, Stempel, Gebührenmarke und ab in dessen Separee und los gehts. Blöd ist halt, wenn die Überweisung für die Gebührenmarke hinterher von der Bank kassiert wird. Dann war das kein rechtsgültiger Beischlaf und ab gehts in den Bau. Vier Jahre. Bravo, wie du es machst, machst du es falsch.
Für mich ist es ja damit gelaufen. Einen Notar kann ich mir nicht leisten, alles andere ist mir mittlerweile zu riskant. Also stelle ich baldigst jegliche meiner sexuellen Aktivitäten ein, spätestens sobald der Vertrag Gesetz ist. Es langt mir einfach. Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich keinen Sex mehr haben werde, war biologisch gesehen klar. Aber jetzt sind es keine Alterserscheinungen, sondern drohende rechtliche Konsequenzen. Die Welt steht nicht mehr lang, meine Oma hatte einfach Recht!
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So, nachdem es jetzt vermutlich Zeit ist, mich an die Wand zu nageln, möchte ich noch Folgendes festhalten, bevor mir an der Wand einer grindigen Autobahn angenagelt die Stimme versagt:
Ich bin bekanntermaßen kein bekennender Fan der #metoo Debatte. Jedoch sehe ich absolut, dass es dringend an der Zeit ist, mit den Unmöglichkeiten aufzuräumen und sie ans Licht zu zerren, wo sich Menschen gegen ihren Willen zu Handlungen gezwungen sehen, die sie nicht wollen. Ich weiß wovon ich rede, ich war selbst, oha, obwohl nur ein Mann, Opfer solcher Aktivitäten.
Was mich aber krank macht an der Geschichte mit dem Vertrag ist: Ich halte es für absolut selbstverständlich und notwendig, daß es Sex ausschliesslich und nur dann geben darf, wenn alle (!) Beteiligten einverstanden sind und diesen WOLLEN. Keine Frage! Dass dies oft leider anders aussieht, ist sogar mir klar. Nur lasse ich mir nicht einreden, dass alles besser wird, wenn wir jetzt Verträge brauchen, die Justiz zur Hilfe holen und alle einsperren, die den Vertrag nicht hatten und nicht mindestens 10 Jahre aufbewahrt haben. Ob mit oder ohne Vertrag – es wird leider immer auch Ärger geben. Und es gibt unzählige Beispiele, wo Gesetze und Verträge es nur schlimmer gemacht haben oder nichts bewirkt haben. Ich denke u.a. an die Zeit als endlich öffentlich wurde, dass es sexuellen Missbrauch an Kindern gibt und dies nicht nur am Bahnhof, sondern vor allem auch zu Hause, in den Familien. Ein grauenvolles Thema. Prompt landeten tatsächlich unzählige unschuldige (!) Väter im Bau, weil ihr Kind in der Schule ein Krokodil gezeichnet hatte, ein klar phallisches Symbol wie man meinte und der Alte muss Schuld sein. Das war ja klar. Als sich heraus stellte, dass es andere Wege brauchte, um dieses grauenvolle Thema endlich wenigstens etwas in den Griff zu kriegen, war es für die unschuldigen Väter längst zu spät.
Und jetzt wollen wir alle einsperren, die Sex ohne Vertrag hatten. Ich nehme an, vornehmlich die Männer.
Was soll das? Was soll dieser Scheiss? Jetzt schon sind erste Spassverträge in den sozialen Medien im Umlauf um zu zeigen, welche Farce die Nummer ist.
Es braucht keine Verträge, um endlich Frieden in uns selbst und damit mit anderen zu haben. Es braucht eindeutig mehr Liebe. Nein, nicht Sex, ich rede von Liebe. Auch wenn das jetzt wieder esoterisch klingt, aber vergesst nicht, ich hab ja nun keinen Sex mehr…
Quelle des Artikels der mich so begeistert hat:
http://orf.at/stories/2419456/2419454/
Bild: Marija Kanizaj
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