WIR
sitzen allabendlich auf deiner Bühne
am Tresen unseres Lebens, im
Lokal mit der Musik unserer Generation:
Jazz und Blues.
Wir haben die 40 bereits mehr oder weniger weit
hinter uns gelassen, mancher fast 60.
Alte Männer mit verträumten Blicken in ihr Bier und
ins Leben, verträumt, gewagt, durchgeknallt und
durchgelebt.
Die ewige Frage die von Tag zu Tag intensiver
und drängender wird mit zunehmend frustrierteren Antworten:
Wo ist es geblieben all das Leben mit seiner Kraft,
seinem überbordendem Mut, wo ist es hin, was taten
wir alten Krieger bis heute, was haben wir geschafft?
Sind die Spuren die wir hinterlassen beachtenswert,
oder sind sie überflüssig und vom Regen des langen Lebens
längst verwischt und aufgeweicht?
Wo ist er unser Mut, Dinge anzugehen, egal wie wenig
Chance auf Erfolg besteht? Wir waren es doch die die Welt
aus den Angeln heben wollten mit überbordender Kraft, wir
die wir das Establishment bekämpfen wollten und am Ende
selbst dazu wurden?
Als Männer sowieso eines: Helden!
Die Macht des Alters? Frieden zu finden mit den Stürmen des Lebens.
Ruhe in sich zu tragen, anzukommen bei sich. Auf die Fragen friedliche
Antworten findend. Die Kämpfe sind gekämpft, jetzt noch ein paar
schöne Jahre, bis dann der Rollator ruft und es in die letzte Phase geht.
Wühlende Gedanken ins Bier versenken, kluge Sprüche an den Sitznachbarn,
schwärmen, jetzt sind wir zwar keine Helden mehr, wir waren es aber.
Weisst du noch? Damals?
Frieden. Shalom.
Und dann kommst du. Betrittst deine Bühne.
DU
Und dann kommst du daher. Du arbeitest hier nicht,
du erscheinst. Du, jung, im Studium, voller Kraft, voller Humor,
was kostet die Welt, ach all das Leben, ist es nicht herrlich,
du kommst daher, hast für alle ein Strahlen, eine Stimme wie
ein Vulkan, leicht rauchig fast, deine Langen Haare wehen
hinter deinen schnellen Schritten hinterher.
Du kennst uns alle scheinbar, deine Bühne, dein Publikum.
Und der Zauber deiner Art, deine tief gebräunte Haut und
dein Lachen haben uns alle im Griff.
Aufgereiht sitzen wir vor dir, jeder deiner Handgriffe löst
eine kleine Explosion in uns aus, jagt uns Schauer über den Rücken.
Und heute feiertest du deine Krönungsmesse:
Extrem kurze Shorts geben den Blick frei auf deine vielleicht
schönsten Beine der Welt, tief braun, wundervoll geformt.
Sie machen uns alle atemlos, sprachlos, lassen uns heimliche
verstohlene Blicke der Sehnsucht werfen, wenn du über
deine Bühne gleitest, immer ein Lachen für jeden von uns.
Plötzlich
sehen sich die aktuellen Fragen mit deutlich anderen Antworten konfrontiert.
Kaum etwas anderes lässt einen alten Kerl mehr wissen, wie alt er eigentlich ist,
als deine Erscheinung, deine kurzen Shorts, dein Lachen.
DU bist jung. WIR sind alt.
An deinen Beinen erkennen wir es.
Ein Freund sitzt neben mir. Und sagt immer, dass wir die Wahl haben. Und das ist hier auch so:
Wir haben die Wahl, frustriert zu sein. Die längst verschwundene Jugend zu bedauern, jegliche Chance auf eine Begegnung mit dir vertan, der Jahre wegen.
Wir haben die Wahl, uns an deinem Geschenk deines Seins und deiner zugewandten Art zu erfreuen. Wir können geniessen, dass es dich und uns gibt und wir wundervolle Abende verleben dürfen an deiner Bühne. Das Spiel des Lebens in seiner vielleicht schönsten Form:
Völlig ungezwunge Begegnungen, freies Lachen und getriggerte Träume, geweckte Erinnerungen. Der Moment in seiner schönsten Form.
Und wir haben die Wahl zu erkennen, dass die Alten Recht haben wenn sie sagen, jedes Alter habe seine eigenen Qualitäten, habe seine ganz eigene Schönheit.
Und plötzlich ist nicht mehr wichtig, ob du jung und wir alt, ob du unerreichbar oder wir chancenlos. Es ist nicht mehr wichtig, ob es mehr gibt, als die kurzen Momente unserer Begegnungen.
Die Zeit, wusste schon Einstein, ist ohnehin eine Illusion. Es gibt sie nicht. Und so gibt es einfach diese einzelnen Momente reinen Glücks. Wir die in Mitten des Lebens stehen, eines viele Jahre gelebten Lebens, wir müssen die Welt nicht mehr aus den Angeln heben. Du die noch am Anfang steht, vieles noch vor sich hat und unbändige Kraft und Schönheit nicht umsonst hast: Du wirst die Welt erst noch aus ihren Angeln heben.
Wir haben also alle unsere Herausforderungen zu bewältigen, du wie wir.
Und so begegnen wir uns hier auf Augenhöhe. Irgendwie. Einander beschenkend, einen Abend geniessend.
Wenn mitten in einem alten Jazz Lokal einander Generationen begegnen. Und leben.
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