Weihnachten, sagt mir der Kalender, ist am 24. Dezember eines jeden Jahres. Der Kalender ist hier genau und sagt ziemlich treffend voraus, wann es wieder so weit ist.
Weihnachten, sagt mir die Erfahrung, kommt jedes Jahr wieder unerwartet plötzlich. Als würde der Kalender lügen, oder etwas verheimlichen. Erschütternd.
Weihnachten, sagt mir die Wirtschaft, heisst Konsum. Da wurde jemand geboren, sagt die Wirtschaft und da musst du ordentlich hin langen und Dinge kaufen die kein Mensch braucht. Die Wirtschaft, sagt mir Weihnachten, braucht das. Da wurde Jesus geboren, ein Mann den wir gepflegt das ganze Jahr ignorieren, es sei denn, ein Flüchtling sagt etwas über den Islam, dann ignorieren wir Jesus nicht. Ansonsten schon. Weihnachten also ist sein Geburtstag und weil wir ihn ignorieren, müssen wir uns in seinem Namen reich beschenken. Weil es dann so ist wie früher?
Weihnachten, sagt mir die Kirche, ist etwas besonderes, weil da unser Herr geboren wurde. Gott war an diesem Tag so gnädig und hat uns seinen Sohn geschenkt. Der dann für uns am Kreuze starb. Der wurde für uns ans Kreuz genagelt, heisst es. Und wir sind SCHULD. Weihnachten ist also schlicht der Beginn einer großen Serie von Verfehlungen, im Ergebnis ist es der Beginn unserer Schuld. Und das müssen wir schliesslich feiern.
Weihnachten, sagt mir die Erfahrung, ist Frust. Weil die Geschenke die man macht, womöglich nicht passen. Oder die die man bekommt, Scheisse sind. Da gibt es jetzt schon von Hugendubel und Bastei Lübbe einen Umtauschautomaten: Socken rein, Buch kommt raus.
Weihnachten, sagt mir der Friedhof, ist Erinnerung. Da geht man, so wie ich, ein bis zweimal im Jahr hin und tut betroffen (ausser mir, ich fühle mich da nicht betroffen sondern achte den Tod als inkarnierte Liebe). Weil auch er, der Tod, wie Weihnachten so plötzlich kommt. Der Tod allerdings ist endgültig. Wobei die Frage offen bleibt, ob er das Leben endgültig beendet oder er es im Gegenteil beginnen lässt. Wir wissen es nicht.
Weihnachten, sagen mir Menschen wie Thomas, ist Einsamkeit. Thomas hat auf der Strasse gelebt. Wie viele andere auch. Und wie viele andere Menschen die nicht auf der Strasse leben ist das halt schon speziell, wenn sich alle zurück ziehen und von Liebe und den Engeln singen. Scheiss egal wenn sie sich hinterher die Köpfe einschlagen. Es ist immer noch besser, wenn man jemanden hat, dem man den Schädel der ewig gleichen Socken-Geschenke einschlagen kann, als wenn man selbst dazu niemanden mehr hat.
Weihnachten, sagt mir meine Wampe, heisst Völlerei. Fressen bis der Arzt kommt, auch wenns lecker ist.
Mit Weihnachten stimmt was nicht
Ich weiss einfach nicht, was hier abgeht:
Das ganze Jahr glauben wir weder an Gott, noch bemühen wir uns in die Kirche.
Zu Weihnachten sind wir plötzlich alle heilig.
Das ganze Jahr beschenken wir uns nicht gegenseitig, ausser zum Geburtstag.
Zu Weihnachten gehts plötzlich wild ab und es sind Berge an Geschenken.
Das ganze Jahr sind die Toten wurscht.
Aber zu Allerheiligen und zu Weihnachten finden am Friedhof ganze Völkerwanderungen statt.
Hinterher ist es wie vorher: Es ist wieder allen auf den Sack gegangen.
WIESO, VERDAMMT, MACHEN WIR DANN DEN GANZEN MIST, WENN ER UNS DOCH DERART AUF DIE NERVEN GEHT?
„Endlich kann ich wieder zur Arbeit gehen, Weihnachten nervt so!“ – den Satz kannst du nach Weihnachten in jedem depperten Office hören. Weihnachten nützt der Kirche, Weihnachten gefällt der Wirtschaft.
Alter Fux, was soll das heissen, wie sind so frei? Wir sind so selbstbestimmt? Das kann ich hier in diesem Zusammenhang nicht erkennen. Oder bin ich zu blind dafür? Aber wenn alle wie die Lemminge das tun was sie angeblich nicht wollen und dann tun sie es doch, weil es eh jede/r macht? Es nervt, also tue ich es brav? Wir sind aber sonst auch nicht soooo brav!
Ist es womöglich anders?
Ist Weihnachten womöglich doch nicht nur ungeil, stressig, nervig und Zwang?
Ist Weihnachten womöglich auch ankommen (bei sich), Pause, Stille, Erinnerung?
Ist Weihnachten womöglich ein Zusammenrücken mit denen die man mag?
Ist Weihnachten zu mögen ähnlich peinlich wie Schlager zu mögen?
Ist Weihnachten SEHNSUCHT und ist diese Sehnsucht tief in unseren Zellen verankert?
Ist Weihnachten womöglich die Sehnsucht nach einem Erlöser der einem zeigt wo es raus geht ins Leben?
(Nein verdammt, es muss nicht immer Jesus sein; für mich ist es zum Beispiel der Heilige Geist, für andere ist es Veit Lindau, für die nächsten ist es ganz jemand anderes)
Ist Weihnachten womöglich deine eigene (neu)Geburt, weil du selbst dein Erlöser bist?
Ist Weihnachten womöglich auch deshalb Kampf und Krampf, weil es nicht wirklich um Jesus geht, sondern um dich selbst? Weil nur du selbst den Weg gehen kannst zu einem gut gelebten Leben? Vielleicht geht es wirklich nicht immer nur um die Schuld der anderen, die vermeintlich verantwortlich sind, dass alles Scheisse ist?
Wie auch immer.
Vielleicht…
..habe ich auch gar nix verstanden von diesem Weihnachten.
Insofern: Einigen wir uns einfach darauf, dass es mich nervt, wenn alle immer sagen, Weihnachten ist Scheisse und dann gleichzeitig Weihnachten spielen. Entweder es doof finden und es nicht feiern. Oder, was schöner wäre, es zugeben, Weihnachten doch ganz nett zu finden und es dann zu feiern.
Vielleicht geht es auch darum: Weihnachten mögen, indem man sein eigenes Weihnachten feiert. Als Geburt eines neuen Weges, als Geburt deines Lebens, als Geburt deiner Liebe.
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